Montag, 27. Juni 2016
Diese Mentalität überrascht immer neu
26. Juni
Wenn ich zum Frühstück frischgepflückte Himbeeren und Blaubeeren bringe, bekomme ich gleich die erste Ladung Zuwendung, meine Art Zuverlässigkeit sorgt für Verblüffung, zeige ich meine Gefühle, wollen sie mich gleich hier behalten. Gerade sehe ich einen knallroten Abendhimmel, könnt ihr euch vorstellen, dass ich in diesem Jahr noch kein Gewitter erlebte? Autos, Busse, Restaurants usw. sollte man bei Hitze nicht ohne Jacke betreten. Kaum scheint die Sonne, laufen die Klimaanlagen auf Hochtouren und die Eiswürfel in den Getränken türmen sich. Was auch bei keiner Mahlzeit fehlen darf, ist Käse: gerieben, in Scheiben, verarbeitet oder einfach als Snack. Interessant ist auch wie man hier einfache Familienhäuser vor allem auf dem Land baut. Die Konstruktion gleicht unseren Baumhäusern für Kinder. Es wird schon irgendwie isoliert, aber oft nach 20 Jahren wieder abgerissen. Immer mehr Häuser, kann man teilen, aufladen und mitnehmen, bei der Umzugsfreudigkeit hier genau richtig.
Bild vom Hausbau folgt später
Die Canadier bedanken sich immer und überall, und so wird fast 100 mal am Tag die Antwort: "You are welcome"erwartet. (unser " Bitte, gern geschehen") Apropos 'welcome', egal wo eine Begegnung stattfindet, man fühlt sich wirklich willkommen. Dazu passt das Bild in einer Kirche.



Die Mitarbeitersituation hat sich zugespitzt. Der Vorstand ist ständig hier, verändert was er will und erwartet von der von mir bereits erwähnten Bereichsleiterin, dass sie nur noch nach seinen Vorgaben vorgeht. Sie mag nicht einfach sein, doch das geht zu weit, und heute entschied sie sich, für immer zu gehen. Ich bin wieder mal froh, dass ich eine unabhängige Position habe, nun wird jeder Tag ein Abenteuer. Alles war genau richtig geführt. Käme ich erst heute an, wüsste ich nicht, an wen ich mich wenden sollte. Stattdessen ist mein Tagesrhythmus gerade der einzig stabile, und manche nützen mich als Fels in der Brandung - auch eine schöne Rolle.

1. Juli Canada Day
Heute feiert man die Staatsgründung, es ist neben Thanks Giving Day der bedeutendste Familienfeiertag, mit vielen Attraktionen, einem Flaggenmeer und Feuerwerk überall. Holland hat zum 150. Canada Day nächstes Jahr jetzt schon diese Tulpe geschaffen, die das rote Ahornblatt auf weißem Grund symbolisiert. Canada nahm die holländische Königsfamilie während des 2. Weltkrieges auf und war auch an der Befreiung dieses kleinen Landes beteiligt.



Eine Mitarbeiterin bedauerte, dass gerade heute keine Flagge im Haus war. Sie hatte nicht mit mir gerechnet - ich zu meinem Koffer, Flagge 1,50 zu 70 cm geholt, der Feiertag war gerettet. Diese habe ich letzte Woche zum halben Preis für Opa Franz erstanden. Seine hat der Wind zerrissen, und die neu aus Canada gelieferte ist zu seinem Bedauern nur halb so groß.
Am folgenden Tag ging ich mit der deutschen Kollegin zu ihrer Mutter, sie sind in den 70ern ausgewandert. Das war wieder Meeresblick, gutes Essen, viel Information und in live die Freude, dass unsere Nationalelf ins Halbfinale einziehen wird. :-)
Heute erfuhr ich die 4. Todesnachricht aus der Heimat. Bei der letzten würde ich so gerne tröstend zur Seite stehen, zum Glück kennt die Herzensverbundenheit keine Entfernung.



Montag, 13. Juni 2016
4./5. Woche - neues Glück?
Mal sehen, ob ich diese Überschrift noch ändern muss. Hier schlagen gerade die Wellen hoch, der Vorstand der Einrichtungen hat sich mit der Bereichsleiterin in der Frauenabteilung überworfen. Heute kam es zur Konfrontation, mit Auswirkungen für Mitarbeiter und Patientinnen. Mich betrifft das alles nicht, außer mal in der Rolle des Zuhörers oder wenn ich ganz praktisch etwas abnehmen kann. Ich erfreue mich vermehrt an den Früchten und Blüten meiner ersten Wochen hier im ganz wörtlichen Sinne. Man sagte mir auch, ich wäre sehr nötig in diesem Land, weil ich den Canadiern Verantwortungsbewusstsein beibringen könne. Ich glaube, da käme selbst ich früher oder später an meine Grenzen. :-) Ich wiederum kann das ganz alltägliche Genießen von ihnen lernen.

17. Juni
Was für ein Tag! Die Ruhe und Besonnenheit im Gewächshaus war wahrscheinlich die Vorbereitung für den Abend.



Die älteste und längste Mitarbeiterin hatte mich zu einem Indianerfest zum Zwecke der historischen Bildung eingeladen. Da es nur um Essen und Kinderspiele ging, machten wir einen Waldspaziergang. Stattliche Bäume wuchsen aus verrottenden alten Stümpfen. Mir wurde erklärt, wir Europäer hätten die historischen Gebäude, Schlösser und hier gäbe es den geschichtsträchtigen Wald, weil nicht alles kultiviert und gleich zersägt werde. Bald sprach meine Begleiterin die aktuelle Krise an. Wir wurden sehr offen, doch sie kann nichts mitentscheiden. Noch in diesen Gedanken versunken begegnete ich später im Garten der Person, um die die Probleme kreisen. Unter anderem kam sie auf meine Ausstrahlung zu sprechen. Plötzlich umarmte sie mich, sie im schicken Bürodress, ich in gießnasser Hose. Dann: "Für meine Aufgabe muss ich so werden wie du. Bitte bete für mich!" Ich hatte 3 kritische Punkte bei ihr wahrgenommen, die ich wahrscheinlich mit dieser theologisch ausgebildeten Frau, in dominanter Führungsrolle nicht angesprochen hätte. Nun habe ich die offene Tür und werde die Herausforderung annehmen.

Morgen holt mich ein deutsches Paar ab, das schon 50 Jahre in Canada lebt. Sie freuen sich sehr über meine Rückkehr nach 3 Jahren. Ja, es wurde ein Tag voller Freude, tollem Essen und einem Sack voller Information. Ich erfuhr wieder viel Neues und auch Korrekturen über dieses so vielfältige Land, Clinton wurde wieder aufgewertet, die reichen Chinesen machen den Wohnungsmarkt immer rasanter kaputt, der TÜV wurde abgeschafft, und ich weiß nun auch wie die Staubsauger funktionieren....Wir saßen in einem Spitzenhotel mit Pazifikblick - wenn es nicht geregnet hätte. Wichtiger war, dass wir gleich wieder so vertraut waren, als ob ich nie weg gewesen wäre. Ich bekam sehr gute Vorschläge für die USA-Tour, die Reiseprospekte sind richtig zum Verlieben. Wer von San Francisco zum Grand Canyon will, kommt nicht an Las Vegas vorbei. Na dann!
Nun hat sich für mich wieder ein Wochenablauf eingespielt - gefühlt wie im Kinderheim. Die Prozesse unter den Mitarbeitern wühlen viel auf, in meiner Rolle dabei fühle ich mich gut. Mein betagter Gärtner möchte, dass ich unsere Bewohner mehr zur eigenverantwortlichen Mitarbeit bringe. Auf meine Frage, was ich noch probieren könnte, kam: "Sag ihnen, dass der Tag 18 Stunden hat, für die Nacht reichen 6."

Nun ist genau Halbzeit in meinem sesshaften Leben. Dass ich diesmal noch mehr integriert sein werde, hätte ich mir nicht träumen lassen und das nicht nur in der Einrichtung hier. Als ich die letzten Tage zu einer Freundin fuhr, die ich vor 45 Jahren in D. kennen lernte, wurde ich wieder sehr mit dem Wahlkampf konfrontiert. Für die Nordamerikaner hat Obama nur versagt, und Clinton sei noch schlimmer mit ihrer Offenheit gegenüber dem Islam und ihrem Plan, die Grenze zum hochkriminellen Mexico mehr zu öffnen. Auch Canada ist verunsichert und verliert die letzten Jahre schleichend seine junge Kultur durch die Manifestierung der reichen Chinesen, Ostindier, Moslems und deren starkes (religiöses) Brauchtum. Wohnungsmarkt, Farmer, Kirchen, Bildungsinstitutionen sind schwer am Klagen, während die Politiker offenherzig die Steuern kassieren.



Donnerstag, 2. Juni 2016
3. Woche im Dienst
1. Juni
Kaum zu glauben, dass ich schon zwei Wochen hier mitlebe. In den blühenden und jetzt durchsichtigen Außenanlagen sitzt man nun gerne zwischen den Solarlämpchen. Genauso wie beim letzten Mal rannte ich damit offene Türen ein und bekomme Lobeshymnen. Am Freitag machen wir eine kleine Gartenparty und verteilen die Pflege der einzelnen Stücke an die Bewohner.



Wie gut, dass ich so durchgezogen habe, jetzt wurde es knallheiß. Wir ernten und verarbeiten, gießen abends lange, und ich bin wieder mit in den Gewächshäusern.



Wenn ich nochmals entscheiden könnte, würde ich Gärtnerin werden. Den ganzen Tag zum Leben erwecken, pflegen und dann ganz wörtlich den Erfolg ernten. Und das alles ohne Ärger und Enttäuschungen.
Diesmal werde ich oft als Vermittler eingesetzt, soweit es mir möglich ist. Um mich hier zu behalten, wollten sie mich letztes mal mit dem verwitweten Gärtner verkuppeln, diesmal hatte Helmut die für Deutschland so schlüssige Idee: "Gib doch deine Wohnung an Flüchtlinge und bleibe bei uns."
Den Sonntag verbringe ich wieder in seiner Familie, diesmal aus besonderem Anlass. Als die beiden bei mir letztes Jahr im Urlaub waren, wollten Sohn und Schwiegertochter einen Neugeborenen adoptieren, von dessen Mutter sie auch schon ein Mädchen haben. Da ich ins Telefonieren, Hoffen, Bangen, Beten und das Wunder unmittelbar mit einbezogen war, treffen wir nun die junge Familie von V.-Island, und ich werde den kleinen Nicko kennen lernen.
Ja, wir haben viel Freude miteinander, ich bin immer wieder verblüfft, wie sehr Helmut mich an meinen Vater erinnert. Genauso wie vor 3 Jahen bin ich nun wieder voll integriert mit allen Facetten.

Heute bin ich der ersten Schlange begegnet, wir erschraken beide und zogen uns dezent zurück (ungiftig, gartenschlauch- artig). Ich bekomme so viele schöne Einladungen und muss gut planen. Morgen, Freitag, fahre ich erst mal 3 Tage ins Ausland, zu der Freundin in die USA, worauf ich mich besonders freue.

10. Juni
Das Wochenende war wieder mal kalt, doch mit ganz schönen Inhalten und neuen Erfahrungen. Direkt an der amerikanischen Grenze stieg ich aus, weil ich vergaß, den Pass vorher aus dem Rucksack zu holen. Sofort standen 2 Sicherheitsbeamte hinter mir und wiesen mich zurecht. Das ginge nie, ohne zu fragen, sie fühlten sich bedroht. Der eine war mir bekannt von den häufigen Einkaufsfahrten und ich getraute mich zu erwidern, ich sein doch ganz harmlos. Darauf wurde mir länger das amerikanische Gesetz erklärt. Beim Zurück gerade nervten die Canadier mit endlosen Fragen. Doch dafür ist der kurze Weg zur Grenze ein schöner Ausgleich. Die Politik wird von vielen Amis ganz anders gesehen: Obama schneidet sehr schlecht ab, Trump verspricht eine starke Position zur Stärkung des Landes, Clinton wird sehr kriminell und gegen alles Religiöse eingestuft. Ich fürchte, das geht schief.
Der kleine Ort Lynden war mir schon bekannt, wunderschön, nach seinen 1000 Lindenbäumen so genannt und von Holländern gegründet. Das i wurde später mit y ausgetauscht, weil schöner empfunden.



Als wir vom Strandspaziergang zurück kamen, waren 2 kleine Rehe direkt vor der Haustür. Bisher kamen immer nur die Mütter zu diesem kleinen Häuschen, das von vielen Tannen umgeben ist. Die Landstraße überqueren sie dabei zielsicher. In dieser Gegend ist der Mensch der Gast.