Zwischen den Begegnungen
Nachdem ich soviel von der Landschaft berichte, möchte ich auch den Trend der canadischen Mentalität zusammenfassen. Die Bekannten, die es hier auch lesen, haben meine Wahrnehmungen oft bestätigt. Sehr auffallend ist der Coffee to go und die Wasserflasche in der Hand, der Kaugummi im Mund, das Handy in Reichweite. Das hält jedoch den Bürger auf der Straße nicht davon ab, stets hilfsbereit zu sein, dich sofort anzulächeln oder im Gespräch zu loben. Man braucht auch einen festen Stand, weil man spontan und fest umarmt wird. Freude und Gefühle zeigt man direkt und offen. Das distanzierte Annähern fällt weg, schnell werden auch ganz persönliche Dinge geteilt, du gehörst sofort dazu. Viele Menschen sind auffallend dick, viel mehr geschminkt und tätowiert als in D. Oft wird sehr schnell und viel gegessen, andererseits wird ohne Hektik geduldig in der Schlange gestanden. Im Gespräch zeigt sich die starke Verbundenheit zur Nationalität, Heimat und Natur. Sie betonen oft das gesunde Essen, verhalten sich aber oft gegensätzlich. (Schwarzbrot - jedoch mit Butter, Erdnussbutter, Creamcheese und Marmelade). Marshmallows am Lagerfeuer werden nach dem Rösten mit Schokolade zwischen 2 Kekse gelegt. Es können nicht genug Eiswürfel im Getränk sein, getoastet und gebraten und gewürzt wird möglichst stark. Es muss nicht alles perfekt sein, man lebt in der Gegenwart, oft mit spontanen Kompromissen. Man fährt Automatik und putzt mit Bleichmitteln. Das fand meine Kleidung nicht gut. Auf Energie wird leider nicht so geachtet: ständig laufen Klimaanlagen, im Zimmer wird schnell zwischen Ventilator und Heizer gewechselt, Wasch- und Spülmaschinen laufen auch mit wenig Füllung, die Automotoren werden oft länger nicht abgestellt. In den Frontscheiben sind öfter durchgehende Risse, die niemand stören und bei dem Tempo wohl auch nicht gefährlich sind. Beim Tanken bezahlt man im voraus mehr und holt sich den Rest danach ab (spart die Kameras). Rauchen wird hier übrigens sehr eingeschränkt und in den vielen Parks, an den Stränden und in öffentlichen Einrichtungen ganz verboten... Das Wichtigste ist jedoch, dass die Menschen auffallend zufrieden sind, genießen können und jeden so nehmen wie er ist.
Es war ein gemütlicher Tag. Ich konnte mir noch einen besonderen Wunsch erfüllen und fürs WE eine Fahrt auf Vancouver Island buchen, diesmal an die Westküste gegenüber Victoria nach Tofino am offenen Meer. Gerade beginnt es stark zu regnen, doch ich vertraue wieder mal. Bei der Touristeninformation habe ich meine Reise ohne Flugzeug oder Schiff nach Alaska beschrieben. Das war ich meinem besonderen Busfahrer schuldig. Sie bedankten sich auch und nahmen es ins Angebot auf.
Ich bin ganz schön verwöhnt hier, alles klappt beim ersten Mal und genau rechtzeitig. Obwohl das WE ziemlich verregnet war, wurde ich nie nass. Auf der Fähre erlebte ich erstmals eine dicke Nebelwand. Ein kleines Loch im Himmel verrät die Sonne, um dich nur weißes Nichts. Dafür ständig die Sirene zur Sicherheit für den Gegenverkehr. So was möchte ich nicht im Segelboot oder in den Bergen erleben. Nach Ankunft kam die Sonne, das Hostel bot nicht nur wieder einen Kamin, sondern auch Meerblick und eine Sauna, die ich trotz der 120 belegten Betten für mich alleine hatte. Es wimmelte von Deutschen, selbst ich hatte keine Lust mehr, mich zu outen. Sind die alle den Wahlen aus dem Weg gegangen?
Die 4-stündige Fahrt über die Insel war Wald, Wasser, Weite, Wohlfühlen, eine Hochburg des Wassersports. Nach langer Wanderung zum offenen Meer und Klärung einer Rückfahrt konnte ich endlich am Wellenrand lange im Sonnenuntergang meine Fußspuren setzen. Japan versteckte sich leider hinter den Wolken. :-) :-) . Mir wurde erklärt, dass es beim Schwimmen hier auch im Sommer lausig kalt sei, weil sich das Meer nicht so wie in der Bucht von Vancouver erwärmen kann.
Was der Pacific so anschwemmt, ist wieder viel größer und farbiger als ich es kenne: Algen, Muscheln, ein Krebspanzer wie ein Kuchenteller - diese Begegnung im Wasser würde mich mehr erschrecken als ein Grizzly. Am Strand sind auch Spuren vom jap. Tsunami vor 2 Jahren sichtbar. Das letzte große Erdbeben hier war vor 300 Jahren und konnte mit den heutigen Geräten mit Stärke 9 gemessen werden. Glücklicherweise gab es damals noch kein Vancouver, doch die Gefahr besteht weiterhin permanent. Eine schweizer Familie verhielt sich sehr canadisch und lud mich an ihrem Camper zum Abendessen ein. Sehr nett, doch mir waren die letzten Lichtmomente am Wasser wichtiger. Der Wald in Canada ist eine unkontrollierte Wildnis, die Natur regelt sich selbst, Bäume sterben, fallen, wachsen neu, undurchdringliches Unterholz am Rand, totales Durcheinander dahinter und die Wildtierwarnschilder laden auch nicht gerade zum Spaziergang ein. Erstaunlich war, mit welcher Geschwindigkeit der Busfahrer vor mir 250 Minuten lang seinen Kaugummi kaute, ein Auswechseln konnte ich nicht beobachten.
Heute bin ich zum Lunch am anderen Stadtende eingeladen, die nette Engländerin aus meiner ersten Woche hier freut sich auf mich. Das kann man nur dankbar genießen ..... und morgen geht's wieder vor dem Aufstehen nach San Francisco - 30 Busstunden.
Es war das erste Mal, dass ich ohne Pass aus dem Haus ging, wollte ja nur zum Essen. Als ich in der Bank 50 $ (33 €) in US $ für die Buspausen tauschen wollte, ging das nur mit Speichern der Daten. Dafür hat sich dann der Securitybeamte an der Tür lange mit mir unterhalten. Er meinte, wir Europäer bräuchten diese Bewachung nicht, weil wir ja die Glasscheiben hätten. Erstaunt hörte er, dass wir diese teure Einrichtung gerade wieder abgeschafft haben und nur bargeldlos arbeiten.
hildewilske am 20. September 13
|
Permalink
|
|
Kleiner Abstecher in die Rockies in die Provinz Alberta
Der Start um 6 Uhr morgens war nicht gerade ermutigend im Dunkeln bei strömendem Regen. Dann gings bergauf: Die Busfahrerin bot mir den Frontsitz neben sich an (für Ältere oder körperlich Eingeschränkte - wie ich wohl heute aussehe?) Es ist die beste Aussicht im neuen Bus mit Ledersitzen und starkem Internet. Jetzt fehlt nur noch die Sonne für die heute knapp 1000 km. Nach fast 5 Stunden wird jetzt der Himmel blau. Über den Nebel ärgerte ich mich nicht, sondern tat etwas für die Bildung. Habt Ihr schon mal auf dem tablet in englisch Grimm's Märchen gelesen? Es klingt etwas verfälscht, aber nett. Die putzmuntere Großmutter war beim Kräutersammeln und kam während der Wolf im Bett mit Rotkäppchen sprach und sich das Maul leckte mit Holzfällern zurück. Der Arme musste hungrig durch die Axt sterben. Dornröschen endet ganz logisch: Der Prinz sagt seiner Braut nicht, dass sie gekleidet wäre wie seine Urgroßmutter, sondern mag sie gerade deshalb noch mehr. :-)
Ihr lieben Buntspechte im Kinderheim, wenn ich bei meinen Touren auf Schatzsuche bin, denke ich oft an euch. Hier könnten wir endlos wandern, und ihr würdet nicht merken, wenn die Füße wund werden, so viel gibt es zu entdenken. Deshalb jetzt ein Rätsel, der Gewinner bekommt ein typisches Geschenk aus Canada. Sagt bitte gleich zu Evelin was auf diesem Bild zu sehen ist, ihr dürft keinen Erwachsenen fragen. Sie soll mir dann schreiben, wer der erste war. Ich möchte nicht nur die Funktion wissen, sondern auch den speziellen Grund. Lieber Bela in Kopenhagen, wenn du es als Vorschüler errätst, wartet eine besondere Belohnung auf dich. (Mama darf ein kleines bisschen helfen). Viel Spaß!??
Inzwischen hatte ich wieder ein paar gute Fügungen hintereinander. Als ich um 21.30 Uhr in Lake Louise ankam, musste ich nur einmal fragen, um im Dunkeln die Herberge zu finden. Morgens fuhr ich dann mit dem Taxi zu diesem paradiesischen Platz, den im Sommer täglich bis zu 25.000 Touristen besuchen. Ich hatte auch den Eindruck, es wären nur Deutsche und Japaner hier.
Als ich mit Genießen fertig war, nahm mich eine Hotelmitarbeiterin mit zurück und brachte mich sogar zur geplanten Seilbahn. Als ich mich bedankte, kam ihr Dank fürs Kennenlernen zurück. Ja, so sind die Canadier. Von der Seilbahn aus soll man oft Grizzlys sehen, leider war kein Tier weit und breit. Die Videos in der Bergstation waren ein kleiner Ersatz.
Zurück zur Greyhoundstation nahm mich ein Paar aus Stuttgart mit. Wir saßen dann eine Stunde im Wohnmobil und tauschten hilfreiche Infos aus. Die beiden haben auch den Virus und sind zum 6. Mal in Canada. Mein Bus kam 1 Std. später, ein Jugendlicher aus Calgary unterhielt mich gut. Hier angekommen, begleitete er mich zu meiner Jugendherberge, die jedoch wegen Umbau geschlossen war. Es war wieder mal dunkel geworden, und ich war sehr beruhigt, dass er mich in dieser 1,5 Millionenstadt zielsicher zu einer noch besseren führte. Das letzte Bett war für mich frei, nun gehe ich dankbar schlafen.
CALGARY
Sicher wäre diese Stadt ohne den Dauerregen und die spontane Kälte schöner gewesen, aber ich habe das Beste daraus gemacht. Die Tageskarte in der Stadtbahn brachte mich zu netten Plätzen. Die beiden Flüsse, die vor wenigen Monaten viel überschwemmten, heißen Bogen und Ellenbogen. Vor allem die kleine Chinatown war betroffen. Ihr glaubt gar nicht wie oft man eine Toilette suchen muss, wenn man nasse Füße hat. Nach einer kurzen Greyhoundfahrt war ich im gelobten Nationalpark Banff. Wir fuhren gestern schon durch dieses Felsmassiv der Rockies, jetzt nach dieser Nacht ist oben alles schneebedeckt. So schnell kann das gehen. Die Jugendherberge mitten in der Natur ist die allerschönste, Zimmer mit Nasszelle, Platz, tolle Aufenthaltsräume, saubere Küche und ein Kaminfeuer. Die Gemütlichkeit speichere ich im voraus, denn morgen komme ich nachts um 4 in Vancouver an.
An das Frühstück mit Bratkartoffeln kann man sich gewöhnen, besonders wenn sie so knusprig sind wie heute. Es war wieder strahlende Sonne, so konnte ich im Ort Banff einen Wandertag einlegen. Es erinnert an Garmisch, jedoch mit der canadischen Gemütlichkeit. Kurz vor der Abfahrt begegnete ich in einer Siedlung meinem ersten Wildtier direkt, einem Rehbock. Nur das Geweih hielt mich davon ab, ihn zu streicheln. Nach meiner Bilderserie hatten wir direkten Augenkontakt. Er knabberte lang am Busch, ging über die Straße, hüpfte über einen Gartenzaun beinahe in den Farbtopf des Besitzers , der gerade strich, machte seinen Haufen auf den Rasen und fraß sich seelenruhig durch bis zum Salatbeet. Den Mann stört der gewohnte Besuch nicht, er teilt gerne und legt es nicht auf einen Kampf an.
Nach der langen, vertrauten Bustour empfing mich meine Wahlheimat mit dem Titaniclied von Celine Dion im Bahnhof und einem dicken Vollmond. Das fängt ja wieder toll an.
hildewilske am 16. September 13
|
Permalink
|
|
Tausend Eindrücke - Überwältigende Erfahrungen - Abschiedsphase
Meine 6 Monate lassen sich in diese 3 Blöcke einteilen und unaufhaltsam hat nun der letzte begonnen. Nun mache ich vieles hier im Haus zum letzten Mal und mein Rückflug wird oft in Frage gestellt. Natürlich tun mir die guten Rückmeldungen und meine jetzige Sicherheit gut, aber ich habe auch sehr viel gewonnen und zu danken. Vieles wird immer wieder gewünscht, z. B. bekam ich wieder Material für mindestens 200 Muffins. Das neue Haus hat einen riesigen Gefrierraum, und keiner hat Zeit für solche Serienarbeiten. Ich rücke gerade nochmals dem Unkraut zu Leibe, was die fleißigen Eichhörnchen ärgert, weil ich leider ihre vergrabenen Haselnüsse auch erwische. Die Frauen wollen endlos mit mir spazieren gehen, weil sie befürchten, nach mir nicht mehr so oft aus dem Gelände gehen zu können. Dann kommt täglich sehr viel Spontanes dazwischen, sehr abwechslungsreich. Die lieben Gesten, Geschenke und Dankeskarten häufen sich, sie sind sehr wertvoll, machen jedoch auch das Loslassen schwerer. Ich muss jetzt gut einteilen, um zufrieden abzuhaken. Morgen kommt das nette deutsche Paar, das ich vor Wochen besuchte. Ich freue mich und hätte nie gedacht, dass ich hier mal so viele Menschen persönlich kennen werde.
Nun bekommt Ihr mal ein Bild vom verwitweten Exmediziner, jetzt Hobbigärtner, zu sehen. Die Frauen hier wollen immer, dass ich ihn heirate, um problemlos einwandern zu können. Wir lachen darüber und schätzen unsere Verbindlichkeit, jeder macht anhaltend, was vereinbart wurde und hüpft nicht so spontan wie viele Canadier von einem Plan zum anderen.
Er erklärte mir die Verwüstung der vergangenen Nacht. Waschbären haben von unserem Mais die süßen Spitzen gefressen, alles umgeknickt und Löcher gebuddelt. Jetzt werde ich den Rest schnell zum Dinner kochen und einfrieren. Es ist wieder sehr heiß geworden, im Osten Canadas hat es 37 Grad. Ja, es ist hier ein richtiger Indianersommer für mich, die Hälfte der Zeit barfuß, beim Arbeiten im Freien. (Soll ja sehr gesund sein, so fühle ich mich auch). Morgen ist mein letzter Muffintag, schade.
14.Sept.
Ich erreichte meine Stammjugendherberge gerade um 20.30 Uhr und teile ein Viererzimmer mit einer sehr netten Französin. Die Saison ist vorbei. Es ist ganz anders nachts anzukommen, wie gut dass ich diese Stadt so gut an den langen Tagen kennengelernt habe. Jetzt bin ich wieder anonym unterwegs nach einem intensiven, persönlichen Miteinander. Ich genieße beide Lebensformen. Meine Leute haben wieder sehr viel Zuwendung ausgedrückt bevor ich abreiste: Komplimente, Dank, Tränen, Geschenke, Wünsche und Segensgebete. Als sie einen Graben am Gewächshaus aushoben, musste ich in einen Klumpen Lehm meinen Handabdruck pressen - mit Namen, der wird nach dem Trocknen an die Wand gehängt, weil ich so viel Gutes getan hätte. Das Eigentliche kann man gar nicht formulieren. Der letzte Monat war noch intensiver als die Zeit vor Alaska. Ich glaube, ich bin sehr reich. Liebe kann man nicht kaufen, und ich bekomme sehr viel davon geschenkt - in der Heimat und hier. Was würdest Du machen, wenn eine dir gut bekannte, voluminöse Frau aus Jamaika mit ihrem ebenso ausdrucksstarken Gebiss Haselnüsse knackt und Dir im Auto welche anbietet? Was würdest Du antworten, wenn man Dir sagt, dass man in Deinen Augen die Liebe Gottes sehen kann? :-) In den letzten Nächten hatte ich mein Zimmer mit Bad allein und ein tolles Appartement im neuen Haus, weil der Direktor wollte, dass ich nicht nur darin arbeite, sondern den Standard auch genieße. Morgen werde ich wieder meine beiden Kirchenfrauen treffen, wie immer sonntags in Vancouver. Abends kommen dann Mitarbeiter aus meiner Einrichtung, die monatlich im Obdachlosenheim im sozialen Brennpunkt einen Abend gestalten. Da es auch ein Essen gibt, kommen an die 100 Obdachlose und Abhängige. Da helfe ich natürlich mit, es findet ja fast vor meiner Haustür statt.
Ja, die Zeit in diesem Milieu ist ein weiteres Puzzlestück der realen Welt. Was man sieht und riecht ist unwesentlich, man muss die Menschen spüren. Manche Gesichter kannte ich schon von meinen Straßenwanderungen. Diese Stadt ist für mich schon heimatlich. Schmunzelnd denke ich zurück wie ich in den ersten Tagen nach Tempos suchte. Ich übersah all die kleinen Kartons (die wir ja auch kennen), bis ich ein mir vertrautes Päckchen mit 10 Taschentüchern fand, das wurden auch meine teuersten.
hildewilske am 11. September 13
|
Permalink
|
|