Der Countdown läuft
1. September:
Kaum zu fassen, in genau zwei Monaten ist meine außergewöhnliche Zeit in den Ländern der unbegrenzten Möglichkeiten vorbei, und ich bin wieder ein ganz normaler deutscher Bürger. Es wird sicher eine Umstellung, so ganz ohne beruflichen Alltag. Manchmal fühle ich mich hier wie nach einem Stellenwechsel mit gleicher Atmosphäre. Mit meinem neuen Erfahrungsschatz werde ich meine Berufungen gut sortieren müssen, denn mein Leben soll ja weder langweilig noch stressig sein. Doch vorher genieße ich noch einige Wochen das pure Touristenleben, das in 14 Tagen wieder beginnt. Gerade komme ich von einer guten Eisdiele zurück, unser Direktor lud abends spontan einige Mitarbeiter ein. Morgen ist hier ein Feiertag, dessen Bedeutung mir keiner erklären kann. (Labour-Day, ich meine es ist wie der 1. Mai bei uns. Danach fängt nach 2 Monaten die Schule wieder an). Heute war es wieder so heiß, dass ich es beim Erbeerpflücken in der Sonne kaum aushielt - ein phantastischer Sommer hier, genau mein Jahr!
In einem Park sah ich erstmal das Warnschild "Gebiet mit Pumas". Die vermehren sich hier leider sehr, vor allem im Norden von Vancouver Island sind sie eine Gefahr. Da diese Tiere alles und jeden fressen und sich auch nicht von Bärenspray abschrecken lassen, zitterte ich innerlich, während Eltern mit Kindern ruhig spielten. Die wussten bereits, dass der versehentlich in menschliches Gebiet geratene Puma schon eingefangen war. Außerdem sind viele Waldbrände aufgrund der Trockenheit, keiner darf ein Grillfeuer machen. Auch um San Francisco brennt es sehr, hoffentlich legt sich das bis zu meiner Reise. Beim Autofahren dachte ich wie schön es sein müsste, mit einem Mietwagen durch die beruhigende Unendlichkeit immer geradeaus zu fahren, wie ein Rauschersatz. Heute haben wir Möbel im neuen Haus zusammengebaut, ohne Profi wurde es spät, gute Nacht.
Nun waren wir endlich mal in der kleinen amerikanischen Stadt Lynden gleich hinter unserer Tankstelle. Es war wie im Märchen, hier haben sich viele Holländer niedergelassen. Zwei Windmühlen als Gaststätten, Hausfassaden wie in Amsterdam, kleine Läden, schmucke Gärtchen und dazwischen die amerikanische Post wie das Weiße Haus Obamas in klein. Natürlich dürfen auch hier die vielen amerikanischen Flaggen nicht fehlen. Leider kam ich nicht auf die Idee, mit dem Foto zum Tanken zu fahren. Also müssen wir nochmals dorthin zu meinem Abschiedsessen. Ich denke öfter über die letzten Monate nach: Ab Frankfurt kannte ich niemand mehr, dann überrollte mich nur noch Neues und Unbekanntes, eigentlich war alles anders als in der Heimat, nicht nur die Sprache. Und dann begannen die wertvollen Wunder. Ich habe mit meinem Wohnungsschlüssel auch die Kleider (Gewohnheiten) abgelegt, sprang nackt ins kalte Wasser und zog hier nach und nach staunend eine neue Erfahrung an. Sicher wird mir bei der Heimkehr die alte Garderobe mindestens eine Nummer zu klein sein, weil ich soviel Ferne mitbringe. Umso dankbarer bin ich für die vielen vertrauten Freunde und mir Nahestehenden, die mich wieder erwarten. Danke, dass Ihr die Kontakte über den Ozean so treu pflegt.
6. September: Heute sollt Ihr mal wieder Bilder bekommen, damit Ihr nicht vergesst wie ich aussehe. Als ich nach 100 dunklen Fruchtmaffins am nächsten Tag 100 Cornmealmuffins buk, dachte ich endlich an die Camera. Das ist also eines meiner Hauptätigkeitsfelder, die alte Küche. Nächsten Monat ziehen sie in die neue Großküche um, mir war das Heimelige lieber als die moderne Technik. Nach den Muffins kamen gleich meine 26 gefüllten Paprika in dem Ofen.
Schürze aus und zum Dinner im oben genannten Lynden in den Staaten, es geht hier alles Schlag auf Schlag, und in 15 Minuten bist du in Amerika. Neben diesem Windmühlenhotel saßen wir im gemütlichen "Dutch Mum" mit holländischem Souvenirladen.
Freundlichkeit innen und Blumenschmuck auf den Straßen waren wieder mal umwerfend. Die angesiedelten Holländer hegen und pflegen ihren geschichtlichen Hintergrund sehr, davon sprechen auch riesige Alltagsbilder an Mauern und der holländische Baustil.
Vor meiner Alaskatour warnten mich mehrere Leute vor den Massen von Moskitos dort oder fragten mich danach wie ich es ohne Netz ausgehalten hätte. Eine Frau konnte vor einem Jahr diese lästigen Tiere wie eine schwarze Schicht von den Armen streifen. Ich wurde nicht gestochen, weil meine Tage ganz einfach zu heiß waren. Das war für mich wertvoller als ein Fund in den Goldminen. Jetzt regnet es oft, der Herbst ist da. Ich hoffe, dass bis zu meiner langen Zugfahrt nicht alle Blätter abfallen. Wenn nächste Woche meine Reisezeit beginnt, gebe ich auch ein Paket nach D. per Schiff auf, das kommt dann etwa mit mir an. Ich habe einfach keine Lust, zu den mir vertraut gewordenen Menschen hier auch nur einen Tag zu früh tschüss zu sagen. Also lasse ich mein Bahn- und Flugticket sowie einige schwere Sachen hier und komme Anfang Oktober nochmals für ein paar Tage. Das ist meine Art Kaugummikomsum.
An diesem Sonntag war wieder ein großes Gemeindefest. Canader feiern, essen und genießen sehr gerne. Mich macht immer wieder die gleiche Erfahrung im weltlichen und kirchlichen Leben nachdenklich: Die Redner beginnen meist mit Lob und Dankbarkeit dafür, dass sie gerade in diesem schönen Land leben dürfen mit permanentem Frieden, sie stehen hinter der Regierung, wünschen ihrem Präsidenten gute Entscheidungen, bzw. beten für ihn; man sieht Schwarze, Indianer und Weiße mit starkem Wirgefühl. Die Amerikaner haben auf Soldatengräbern sogar kleine Flaggen. Meine Mitarbeiterin, die 30 Jahre in Kamerun Missionarin war und öfters in D. Zwischenstation machte, hat auf Nachfrage keinen Deutschen getroffen, der auf seine Nationalität stolz ist. Vielleicht dürfen auch wir die Blickrichtung ändern und müssen uns nicht mehr hinter der Kriegsschuld verstecken.
hildewilske am 02. September 13
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Besonderheiten im Alltag
Heute hatte ich an der amerikanischen Grenze erstmals länger Schwierigkeiten wegen einer Stunde einkaufen. Der Beamte hängte mir ein neues Visum bis November auf, mit Formularzirkus, allen Fingerabdrücken und Foto. Die US-Dollar-Gebühr hatte ich erstmal nicht in der Tasche, konnte es dann ausleihen. Man merkt den verstärkten Schutz seit den neuen Bedrohungen. Auch der Canader beim Rückweg war knochentrocken und blätterte alle leeren Seiten meines neuen Passes erstmal durch, während er Fangfragen stellte. Vielleicht sehe ich gerade etwas terroristisch aus, komisch.
Die Hitze ist wieder da, aber sehr angenehm auf die Mittagsstunden begrenzt. Manche von Euch jammern ein bisschen, dass es morgens nichts von mir zu lesen gibt. Da ich mich nicht wiederholen möchte, erzähle ich in der Zeit hier immer wieder kleine Kuriositäten. Ich weiß morgens ganz selten einen Traum, doch heute träumte ich deutlich von einem Menschen aus der Heimat. Ich traf den Heimleiter meines Kinderheimes (ja, Gerhard, Dich) beim Tanken. Total überrascht, vergaß ich zu fragen wie er nach Canada käme. Später dachte ich, es ist ja unmöglich, hier sein Privatauto zu haben. Wir haben uns also in D. getroffen, ob das wohl ein erstes Zeichen für Heimweh war?
Dann habe ganz schnell die Jugendherberge in San Francisco mit Skype gebucht. Es ist alles so einfach, die Welt passt in eine Hosentasche.
FREITAG: Gestern um Mitternacht war ein schwaches Erdbeben, die Betten haben wohl gewackelt. Ich habe tief geschlafen und war dafür ab 3 Uhr bis zum Morgen hellwach. In Vancouver Island hat vor wenigen Wochen die Erde mit Stärke 5,5 gebebt, keine Schäden, aber grenzwertig. Die Menschen leben hier ganz bewusst damit, bauen die Häuser besonders gesichert und rüsten z. B. die Fundamente alter Kirchen nach.
Meine Tage hier sind abwechslungsreich schön und wie so vieles in diesem Land unberechenbar. Ich könnte jeden Tag Mais aus unserem eigenen Anbau essen, hoffentlich werde ich nicht dicker.
Das war wieder ein Tag! Morgens brachte ich noch aufgelaufene Arbeiten gut zu Ende, dann wurde ich von einem deutschen Ehepaar abgeholt. Es sind Freunde von meinen Freunden aus FN, die ca. 50 Jahre hier leben. Es war wie ich es hier oft erlebe, sich bisher Fremde haben sehr schnell eine vertraute Nähe. Auf einen sonnigen Spaziergang am Pazific folgten viele Stunden im gemütlichen Haus mit Gutem für Leib und Seele. Es war auch wieder mal schön, länger deutsch zu sprechen. Ich bekam wertvolle Informationen über die Ureinwohner, Lebensweisen, Entwicklungen und wurde in vielen Wahrnehmungen bestätigt. Wir konnten natürlich unsere Heimatkultur mit der canadischen sehr gut vergleichen. Als ich spät heim kam, war die Hintertür offen und auf meinem Bett lag ein lieber Gruß. Da kann man sich nur wohl fühlen.
Dass ich hier nur noch 2 Wochen mitarbeiten kann, will ich gar nicht glauben. Ich habe so viel Neues ausprobiert, dass jeder Tag wie im Flug verging. In der Küche habe ich jetzt viel Spaß mit der Asiatin, die ich anlerne. Ja, ich bin schon eine Stufe weiter und werde sehr oft gefragt, weil man meine Ordnung und Zuverlässigkeit schätzt. Gestern fand ich einen wichtigen Pass, einen Geldbeutel und vor kurzem den teuersten Autoschlüssel des Hauses im Blumenbeet. Hoffentlich können die Mitarbeiter zur Erleichterung einiges aus unseren gemeinsamen Erfahrungen umsetzen. Ich nehme so viele innere Schätze mit und möchte nicht nur die sichtbaren Dinge meine Arbeit zurücklassen. Zurück zur Küche: Die total nette Koreanerin und ich sind sprachlich wie einer mit gebrochenem Arm und einer mit Beinbruch. Wir ergänzen uns mit unserem Wortschatz, oft hat jeder genau die andere Hälfte. Da lachen alle herzlich mit, und ich muss manches Missverständnis praktisch vormachen. Ich hätte nie gedacht, dass mein neues Hobby Muffinbacken heißt. Gestern stach ich Unkraut aus, während hinter mir gleichzeitig ein Maulwurfhügel entstand und sich bewegte. Am nächsten Baum jagten sich 2 Eichhörnchen in grau und schwarz rund um den Stamm wegen einer Haselnuss. Im Baum unterhielten sich 2 bluebirds; größere, wunderschöne, mir unbekannte Vögel. Die Natur hier ist einfach toll.
Am Sonntag war ich mal melancholisch und grübelte wie ich mir mein Leben in D. einrichten werde. Abends kam dann ein Regenbogen über unser Gelände wie ich ihn vor meinem Flug in Wilhelmsdorf sah, allerdings ohne einen Regentropfen. Das möchte ich wie damals als gute Verheißung sehen.
hildewilske am 21. August 13
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Wieder in sicheren Gefilden
Es war sehr angenehm nach über 7000 km Busfahrten in meiner Basisherberge in V. anzukommen. Die Vertrautheit war schon ein Stück Erholung. Dies war sicher meine weiteste Tour, doch die gut aklimatisierten Automatikbusse fahren ganz ruhig mit regelmäßigen Pausen. Als Linienbusse sind sie meist wenig belegt, Kurven sind sehr selten, jeder Gast hat seine kleine Mülltüte, Koffer werden zuverlässig umgeladen. Die Fahrer halten nicht nur über 12 Std. durch, sondern befördern auch die Post und waren um unser Wohl bemüht. Mitten in der Nacht schaute ich 2 Stunden auf die Straße, nach dem Scheinerferkegel nur schwarz, es begegneten uns 3 Elche und 2 Autos. Man beachte das Verhältnis, der ganze Alaska-Hwy. war Einsamkeit, wahrscheinlich würden wir am Steuer einschlafen. Die Wildtiere muss ich noch woanders suchen. Nett war, dass in Whitehorse völlig zufällig auch der Opa mit dem Jungen wieder zu stiegen. Diesmal begann der Opa nachts um 3 leise zu singen, der Junge lebt in Kenya und fliegt alleine zurück. Die große Welt kann so klein sein. Hier sieht man öfter Wohnmobile, die ihren PKW angehängt haben oder kleine Holzhäuser auf einer Art Palette, das ganze Haus geht dann beim Umzug mit. Flexibilität ist den Leuten in der unendlichen Natur sehr wichtig. Dennoch haben schon viele Einheimische zu mir gesagt, meine Ziele hätten sie noch nicht gesehen. So, jetzt mache ich mich stadtfein, buche die Fahrt nach San Franzisco für Ende September und schwimme noch ein bisschen im Pazifik. Morgen werde ich im Vorort abgeholt und werde im letzten Monat in meiner Lebensabschnittsheimat noch ein paar Zeichen meiner Arbeit setzen und die Beziehungen nochmals genießen. Ich werde seltener schreiben, Ihr kennt ja fast alles dort schon.
DONNERSTAG: Da bin ich schon wieder. Der Empfang hier hat selbst meine Vorstellungen übertroffen. Auch die Neuen waren auf mich vorbereitet. Wir haben uns so richtig miteinander gefreut, uns gegenseitig erfreut, sogar der Direktor war anwesend. Dass man in der Fremde so nach Hause kommen kann und richtig vermisst wurde, ist schon ein Wunder für sich und für mich ein Vorgeschmack auf D. Es ist einfach gut, nach der Touristenzeit wieder unter Bekannten zu sein, im mir so vertrauten Garten zu werkeln, einer Waschmaschine zu begegnen und nach meinen Wünschen gefragt zu werden. Ich ging nicht mehr in den Wohnwagen, da muss ich zur Toilette immer ins Haus laufen, und die Nächte werden im September sicher ziemlich kalt so unisoliert. Nun bin ich in einem größeren Zimmer mit der Mitarbeiterin von den Gewächshäusern zusammen. Auch etwas Sinnvolles zu tun, macht wieder Spaß, genauso das regelmäßige Essen. Heute gab es Fisch und Maiskolben aus unserem Garten. Ich spüre, dass ich es genau richtig mache mit dem Wechsel zwischen Reisen und Zugehörigkeit.
19. August: Ich lebe hier wieder so im Alltag, dass die Tage wie im Flug vergehen. Es ist alles wie Ihr es schon kennt, und ich bin froh und zufrieden. Brauchen und gebraucht werden ergänzen sich wie ich es aus Kinderheimszeiten kenne. Heute habe ich eine neue Küchenmitarbeiterin eingeführt, das war eine schöne Bestätigung für mich, nicht mehr die Fragende und Suchende zu sein. Ihr könnt schon ein bisschen an meine Rückkehr denken, die meiste Zeit war ich schon weg. Die drückende Hitze ist hier vorbei, ich musste mich nach den hellen Nächten in Alaska ganz schön an die frühe Dunkelheit gewöhnen. Der Vollmond heute ist eine kleine Entschädigung und verbindet mich mit Euch auf der anderen Seite der Erdkugel. Leider schlaft Ihr meistens, wenn ich mitten am Tag an Euch denke.
hildewilske am 15. August 13
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