Mittwoch, 24. Juli 2013
Ich nähere mich dem Paradies
So sehe ich heute, nach der Gartenarbeit bei großer Hitze vor meiner Immobilie aus.



Lange habe ich nun bergeweise geerntet, bei dem schnellen und riesigen Wachstum hier würde Euer Herz lachen. Jetzt will ich die Berge zum Greifen nah sehen. Bevor ich nun 4 Tage Strandurlaub in Vancouver mache und dann in Richtung Alaska aufbreche, habe ich heute die nächste Superreise gebucht. Mitte September, mit Beginn des Indian Summers, werde ich eine 6-Tagestour ins Herz der Rockies machen: Vancouver - Lake Louise - Calgary - Banff/Nationalpark - Vancouver. In Lake Louise muss es himmlisch schön sein, wunderschönes Panorama und ein strahlend grüner See und Banff wird als schönster Nationalpark in diesem Riesenland beschrieben. Dann fehlt mir von meinen in D. gesetzten Zielen nur noch San Francisco, darum kümmere ich mich nach dem Norden. Jetzt will ich hier noch einen guten Zwischenabschluß machen, meine Aufgaben delegieren und 2 Koffer packen, der große bleibt hier, der in den kleineren kommen einige Wintersachen und die wichtigen Dokumente für die Tour. Oft werde ich gefragt, ob ich schon ein bisschen aufgeregt bin und man beneidet mich. Ich bin auch ganz schön dankbar.

VANCOUVER, 25. 7. - ein schönes Gefühl, in eine Weltstadt zu kommen, die Verkehrsverbindungen zu kennen, die öffentlichen Toiletten gleich zu finden, zu wissen, wo man was kaufen kann, den asiatischen Geruch und die vertrauten Ambulanz- und Polizeisirenen in Richtung sozialem Brennpunkt wie früher zu haben (einige dieser Menschen landeten ja auch in meiner Einrichtung), und ein paar Bekannte zu treffen. In meiner früheren Jugendherberge habe ich gleich bis September die Zwischennächte bei meinen Reisen gebucht, und meine Chinesin freute sich sehr als ich wieder ins Café kam. Die Strandjugendherberge hat den Status eines Hotels, dann ohne Schuhe zum Meer, endlos tiefer, warmer Sand und ein Sonnenuntergang wie ich mir Hawaii vorstelle.



Die Wildhasen konnte ich fast streicheln, ob das verheißungsvoll für meine Bärenjagd sein kann. Morgen werde ich in der Stadt ein paar Ziele ansteuern, zum Friseur gehen und dann hier schwimmen und lange am Strand laufen. Am Samstag ist das große Feuerwerk.
Ich staune immer wieder über die Großzügigkeit hier. Für Kaffee, Tee, Toast mit Ei und Schinken 4,50€, Tee und Kaffee wird sofort gratis nachgeschenkt. Bei Cola mit Eis wird das halbleere Glas ausgetauscht, bis man stopp sagt. Der Friseur war urig, als ich mein dunkelblond färben lassen wollte, lachten alle. "Wir sind Chinesen, bei uns gibt es nur Schwarztöne." So sehr wollte ich mich nun doch nicht verändern. Nach einem guten Schnitt für knapp 7€ war ich wieder an der Sonne. Als ich an einem älteren Mann auf einer Bank vorbei lief, wünschte er mir fröhlich einen wunderschönen Tag. Diese offene Art wird mir in D. sicher fehlen. Der große Bruder unserer Ost- und Nordsee, war wieder sehr brav, eine leichte Brandung, lau, hinter mir die Berge und vor mir das Skiliner-Panorama der Stadt. Als ich eine Frau mit ihren 3 Kindern deutsch sprechen hörte, fragte ich, ob sie hier Urlaub mache. "Nein, wir wohnen hier!" Das wäre eine Familie für mein Granny au pair gewesen, direkt am Meer mit der schönsten Aussicht. Doch mein Platz ist genau richtig für mich, ich wollte viel Konversation und nicht nur mit Deutschen zusammen sein.

Das war wieder ein typisches can. Frühstück: toller Bacon, Rührei, Bratkartoffeln mit Schale, sehr knusprig und fett. Drei große Ventilatoren und das TV-Angebot waren verschwindend klein im Verhältnis zu einer Pizzeria neulich, in der 15 Fernseher eine gute Sicht von jedem Platz garantierten. Das Marmeladenbrötchen gibt es zum Mittagessen. Danach der schnelle Toilettengang wie bei einer Baby-born-Puppe. Ich weiß nicht, warum viele Canadier so dick werden, ich nicht. Nun bin ich gespannt was mich heute erwartet.
Nach einem kleinen Museumsbesuch folgte ein sonniger Strandtag. Ich habe noch nie erlebt wie sich Möwen neben meinem Handtuch in den Sand kuscheln, wie ein Weißkopfadler Krähennester ausrauben will und von ihnen gejagt wird, wie viele Wildhäschen einem zwischen die Beine springen und Eichhörnchen kaum scheu sind. Da ich das ständig Trinken von Leitungswasser fade finde, verbessere ich es jetzt mit Zitronenkonentrat - kostet eigentlich nichts, wiegt nichts, Auspressen war mir unterwegs zu umständlich. Als ich im Schatten eines der vielen dicken, angeschwemmten Baumstämme lag, hörte ich plötzlich wieder eine deutsche Stimme. Es war die Mutter von gestern, mit der ich nicht lange sprechen konnte, weil sie die Kinder aus dem Wasser bergen musste. Es war eine völlig andere Stelle, wir waren beide froh erstaunt; ich nahm ihr ein bisschen die Zweijährige ab, und sie beantwortete meine vielen Fragen. Man ist hier sozial viel weniger abgesichert als in D., die Sommerferien gehen 9 Wochen, die höhere Erdbebenwahrscheinlichkeit beunruhigt in den abgesichert gebauten Häusern weniger als die Vulkane in der Nähe. Der Wohnungsmarkt wird immer enger, neben dem Inderproblem kaufen reiche Chinesen überteuert Immobilien, es gibt keinen Mieterschutz, immer mehr landen auf der Straße. Für Wahlcanadier wird das alles durch die politische Freiheit und die endlose Natur aufgewogen. Das Feuerwerk war weniger in der Höhe und nicht sehr laut, mehr Lichterspiele über dem Wasser- reizvoll, weil ich weit draußen auf einer Seebrücke stand.



Mittwoch, 17. Juli 2013
Das Reisefieber steigt
MONTAG, 15. Juli, ein Großkampftag mit 6 Frauen im Garten. Tausend Fragen und Bemerkungen: "Sind die Deutschen perfekt. Ja, Du musstest hierher kommen, um den Canadiern zu zeigen was Unkraut ist...." Ich habe übrigens noch keine Schnecke im Gemüsegarten und noch keinen Girsch gesehen, dafür Huflattich ohne Ende. Als ich mittags dann alleine unter dem Büschen kniete, barfuß, dreckig, schwitzend, kam der Direktor vorbei, stellte mich einem anderen Mann als deutsche Freundin vor, umarmte mich wieder väterlich und wünschte mir, dass der Segen meines Einsatzes wieder auf mich fällt. Das hat mich neu motiviert, und den Wunsch beziehe ich gleich auf meine weite Reise. Die 44 Busstunden nach Whitehorse sind nötig, weil es keine senkrechte Straße gibt, es geht lange durch die Rockies, dann weit nach Nordost und schließlich nach nordwest zurück. Wer es auf der Karte verfolgen will: Vancouver - Prince George - Dawson Creek - Fort Nelson - Whitehorse. An jeder der Stationen ist 3 Stunden Aufenthalt, zum Reinigen der Busse, Beine vertreten oder Essen. Ich komme um 4.30 morgens an. Da kann ich gleich eine Stadtbesichtigung vor dem Frühstück machen. Für Alaska habe ich auch Pläne, aber das ist noch nicht spruchreif. Mal sehen, ob ich schon einen ähnlichen Spinner im Bus finden werde. :-) Übrigens habe ich gestern erst bemerkt, dass ich im Bett durch das kleine Fenster im Wohnwagendach die Sterne sehen kann. Toll, ich darf nicht so schnell die Augen zu machen.

WOCHENDE, mein vorläufig letztes hier. Ich habe Euch nicht vergessen, aber es wiederholt sich vieles: Jäten, Ernten, Kochen, Tagesablauf mit den Frauen, gefordert und gelobt werden, Fahrten, nach Worten suchen usw. Heute fühlte ich mich ganz wie im Kinderheim. Eine 19-Jährige sollte ihr Zimmer, bzw. Saustall aufräumen. Nach Tagen habe ich jetzt meine Methode angewandt. Nach Weinen und Toben arbeiteten wir Hand in Hand - 5 Waschmaschinen. Am Abend war sie total dankbar. Ja, es war wie jahrelang mit Dir, Bianca und so manchen von Euch. Im meeting sagte dann einer der wenigen Männer hier, ich hätte das Herz von Mutter Theresa. Auch das war im Heim oft mein Steckbrief, ich habe mich eben nicht verändert. Hier ein kleiner Blumengruß, eines der ca. 7 Beete unter meiner Pflege. Ihr seht meinen Schatten und die Barfußspuren.



SONNTAG mit vielen Begegnungen. Nach dem Gottesdienst sprachen wieder viele Deutschstämmige mit mir. Ein Mann erklärte mir seine lange Flucht aus Russland und den Tod seines Vaters im KZ. Wir hatten ja die Einladung bei der über 80-Jährigen, es gab so richtig deutsches Essen. Sie lebt in einem größeren Gartenhäuschen, urgemütlich mit vielen deutschen Andenken, z. B. einer großen Kuckucksuhr. Wenn man hier von Kirche zu Kirche geht, kommt man fast ohne Englisch zurecht. Mittags wurde mir eine Weihnachtsbaumfarm gezeigt. 12000 Tannenbäume jeder Größe. Im Dezember kommen über 1000 Kunden, 500 Bäume sind zum Verkauf fertig, jeder Kunde sägt seinen Baum selbst ab. Hier im Süden leben viele Menschen, aber schon 5 km nördlich keine Menschenseele mehr. Ich werde bei meiner Fahrt außer in den kleinen Städten unseres Aufenthaltes nur Bären und Wölfe sehen. Das Land muss unvorstellbar riesig, mit unzähligen Bergen und Wäldern ausgefüllt und nur auf einsamen Straßen passierbar sein. Nun habe ich so richtig Lampenfieber. Mir wurde auch gesagt, dass ich nur selten ins Netz kann. Ihr hört also auf jeden Fall an den vielen Fahrtagen nichts von mir. Glaubt einfach, dass es mir gut geht und dass ich vieles zu berichten haben werde. Heute ist ein pausbackiger Vollmond vor meinem Camper, ich werde ihn noch ein bisschen genießen. :-)



Freitag, 12. Juli 2013
Andersartigkeiten gemeinsam erleben
Der angekündigte Ausflug war spitze, aber ganz anders als ich gestern meinte zu verstehen. Blauer Sonnenhimmel, blauer Ozean, salzige Luft, ganz wenig Menschen, nette kleine Läden.... Aber die weiße Steilküste besteht aus einem riesigen, weiß strahlenden Felsbrocken am Strand.



Das kleine Watt wurde bei unserem 2-stündigen Spaziergang von der leichten Flut überschwemmt, der Ausblick war nach jeder Wegbiegung neu zum Staunen. Ich sah nun schon öfter, dass die Bahn in USA und Canada direkt am Meer fährt. Heute ging die Uferpromenade öfter über die Schienen, völlig ungefährlich, da ein Zug unaufhörlich laut hupen muss - Sicherheit durch Mark und Bein.



Dann gab es das total typische Essen "Fish and chips" in der Einwegpackung.
Keiner schafft die ganze Portion .....



Mein Alltagsleben hier regt mich weiter zum Nachdenken an. Ich bin froh über die Gegenpole Tourist und Mitarbeiter. Ich erfahre die völlig andere Art der Tagesgestaltung, Stärken und Schwächen der anderen Mentalität, wie man etwas plant oder Probleme löst, völlige Unkompliziertheit und Chaos eng beieinander, Bedeutung von Ordnung oder Verhaltensweisen, gewöhnungsbedürftige Gewohnheiten, Unkompliziertheit, aber auch Orientierungslosigkeit und das totale Fehlen von Hektik und Anonymität bis an die Wurzeln. Heute wurde mir der Unterschied zur europäischen Mülltrennung erklärt, manches ist nicht mit Logik zu verstehen, das merke ich nicht nur beim Sprechen immer mehr. Manchmal ist D. nicht mehr so ganz gegenwärtig, das zeigt mir, dass jetzt der mittlere Block meiner Abwesenheit beginnt, was sich in den letzten Wochen wieder schnell ändern wird.
Ich erlebe jetzt mein 6. Wochenende hier, da fühlt man auch das Unausgesprochene. Durch mein ganzheitliches Einbringen ist das für die Gefühle manchmal wie Achterbahnfahren. Heute hatte ich so viele tiefgehende Begegnungen, dass die andere Kultur mich ganz schön forderte, manchmal ist es wie ein ganz neues Leben auf dem Teppich des Altvertrauten. Übrigens, meine Haare wachsen hier gemeinsam mit dem Unkraut, so dass mein nächstes Erlebnis ein Friseur in Chinatown sein wird. Nun gehe ich schnell in meine Schlafecke, um genügend Zeit zur Traumverarbeitung zu haben.

Der SONNTAG heute war wieder ganz schön verrückt, ich begegnete in diesem Riesenland den Spuren meiner Vergangenheit. Die ältere Kollegin nimmt mich nicht nur öfter mit in die USA, sondern heute auch mit in ihre Kirche, weil dort so viele deutsch können und sich freuen würden. Ich wurde sehr herzlich empfangen und aufgeklärt. Mennoniten sind eine evangelische Freikirche, die nach 1500 in Holland entstand. Wie viele andere wurden sie verfolgt und ermordet. Sie mussten aus Holland und Deutschland fliehen und bekamen von der russischen Katharina der Großen Land geschenkt, womit sie Farmen gründeten. Das ist auch die Geschichte der Vorfahren meines Vaters, die in Bessarabien sesshaft wurden, während die Mennoniten in der Ukraine waren. Im 2. Weltkrieg mussten alle fliehen, über die Bombennacht in Dresden. Die Familien meines Vaters gingen in die Heimat Deutschland, die anderen hauptsächlich in das große Canada. Dort gaben sie ihren Kindern die Sprache weiter, es ist erstaunlich wie viele hier etwas deutsch können. Man freut sich über Deutsche; ich wurde gleich für nächste Woche zum Essen eingeladen. Heute siedeln sich hier sehr viele Inder an, betreiben riesige Obstfarmen, bauen mit staatlichen Mitteln große Häuser, was die Einheimischen nicht gerne sehen. Ich glaube hier ist Platz für die halbe Welt.