Mittwoch, 5. Juni 2013
Neue Herausforderungen
Hurra, meine erste Waschmaschine nach 3 Wochen. Mein einsamer Schlafanzug hat sich vielleicht gefreut. (Flugzeug, 20 kg).
Gestern war ich bei einer Geburtstagsfeier, es wurde auch laut diskutiert, dass ich die Nächste bin. Sie gehen mit Geburtstagen besonders wertvoll um, hoffentlich muss ich nicht heulen. Ich fühle mich doch gerade wie 30. Es klingt niedlich, wenn man mich hier Hildiiii ruft, mit dem englischen e. Als ich gerade dreckig in meiner Rhabarberernte stand, sagte jemand hinter mir:"Ist die nicht süß?" Nun teilt meine canadische Wahlschwester auch noch ihr Auto mit mir. Manchmal beschämt mich das Vertrauen hier fast. Nachher lernt sie mir mit den Automatikvans zu fahren, damit ich bei Ausflügen hinterherfahren kann. Als ich vorher ins Büro gerufen wurde, überlegte ich, ob ich etwas falsch gemacht hätte, denn ich kenne noch längst nicht alle Regeln. Mir wurde ein Terminkalender gegeben, einzelne Tage mit Aufgaben mit den Frauen und halbe Tage, an denen auch auch mal alleine arbeite. Die Gruppe ist gerade sehr kooperativ. Manchmal fühle ich mich wie ein Pferd, das eine Schranke nach der anderen überspringt. Dann schlagen meine Gefühle auch mal Purzzelbäume, einerseits mache ich gerade das beste Praktikum meines Lebens, andererseits wartet meine abwechslungsreiche Ruhephase in D auf mich. Keine Angst, mein Rückflug ist gebucht. Aber so hätte ich es mir nie vorstellen können. Wieviel Eure Zuwendungen zuhause hier ausmachen ist bestimmt auch enorm. Danke!!!

MITTWOCH: Nun bin ich eine Woche hier, kenne fast 40 Leute näher und mache eine neue Erfahrung nach der andern. Ich habe nie vorher auf einer Wiese 1 Stunde Zumba getanzt. Mein nächstes Auto wird sicher ein Automatik sein, das ist ja so angenehm. Ich bedauere fast, dass ich manche von Euch nicht früher ernst genommen habe, z.B. Dich, Joanna. In D. wünschte ich mir eine kleine canadische Familie und jetzt bin ich in eine pulsierende Lebensgemeinschaft integriert, fahre mit 3 Autos rum und darf alles auch für mich nutzen. Zwei Frauen, deren Mütter schon starben, haben mich als Mutter adoptiert und eine jüngere als Oma. Wir lachen oft, z.B. als ich die Indianerin statt nach einer Schubkarre nach einem Rollstuhl fragte, hat sie sich vor Lachen gebogen.

Eine mir sehr zugewandte Kollegin und ich beim praktischen Ausgleich

Mein Küchenproblem konnte ich klären, ich helfe anderen und sie helfen mir. Der Unterschied zum Kinderheim ist, dass ich kein Jugendamt im Nacken haben muss. Soviel zu den guten Gefühlen. Ich kläre gerade ab, ob ich nach 2 Monaten hier unterbreche, Sachen hier lasse, Richtung Alaska fahre und dann meine abgemachten 3 Monate fertig mache. Erst mal besuche ich meine Bekannten in Abbotsfort und Vancouver lockt mich. Gestern las ich den Führer wieder, und so vieles stieg bekannt in mir auf - wie ein zweites Hamburg. Ich hoffe, Ihr habt jetzt auch so richtig Sommer!

GRUPPENALLTAG: Verrückt, es ist schon ein richtiger Arbeitsalltag geworden hier. Jetzt weiß ich auch, was sie am ersten Tag meinten mit einarbeiten step by step. Ich kenne nun viele Abläufe und mache vieles allein. Es ist ein tolles Geben und Nehmen: ich scheue keine Arbeit, und mir wird jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Heute war ich den ganzen Morgen mit 7 Frauen im Gewächshaus zwischen 100erten von Lavendel- und Rosmarinpflanzen, es roch berauschend. Ich habe verstärkt und gelobt, alle schafften wie die Wilden. Die Frauen sagen immer wieder, ich soll doch ganz hier bleiben. Wenn ich dann von meinen deutschen Freunden spreche, kommt die prompte Antwort:"Hol sie doch alle her."Beim schnelleren Sprechen kommt es auch schneller zu Verwechslungen. Alle brüllten bei meiner Aussage, die Toilette sei besetzt. Ich nahm statt busy oder occupied das Wort engaged. Das bedeutet verlobt. Ihr wundert Euch vielleicht, dass ich immer wieder Bilder einschiebe, ich schicke sie zuerst nach Kopenhagen, wo sie verkleinert werden, damit ich sie einsetzen kann. Wie gut, überall auf dem Erdball helfende Freunde zu haben. Morgen bin ich vormittags alleine boss (Bezeichnung für verantwortlich), mittags fahren wir mit 2 Autos an den Strand. Als mich heute die Kollegin fragte, ob ich nie müde werde, merkte ich, das ich auf die Ruhephase in Deutschland keine große Lust habe. Ich muss sehen wie ich diese weiterhin sinnvoll gestalte.



Donnerstag, 30. Mai 2013
Meine dritte Woche in der anderen Welt
Es ist hier ein richtig gutes Miteinander. Morgen ziehe ich zwei Häuser weiter zu einer älteren Mitarbeiterin in ein Einzelzimmer. Die mussten mich eben auch erst persönlich kennenlernen. Ihr glaubt nicht wie anstrengend es ist, in einer Fremdsprache alles kennen zu lernen, zu kapieren und kleine Aufträge zu erledigen. Heute habe ich 50 ältere Bananen mit engl. Maßeinheiten zu Muffins verarbeitet. Es regnet jetzt auch hier seit Tagen nur. Heute habe ich wieder mal meine Ausnahmekopfschmerzen mit Übelkeit und gehe früher ins Bett. Sonst bin ich sehr zufrieden.

DONNERSTAG: Ich weiß gar nicht wie ich Euch die Athmosphäre von hier beschreiben soll: wie Kinderheim, Freizeitwochen mit der Gruppe oder am Starnberger See und Asissi zusammen. Es gibt schwierige Fälle hier, deshalb ganz enge Regeln für die Frauen. Ich kann mir meistens die Arbeit aussuchen oder werde freundlich gebeten. Mit max. 3 Frauen kann ich auch alleine was unternehmen. Das vertrauensvolle Miteinander ist schön. Viele geben sich Mühe, mir sprachlich zu helfen, weil es sich auch vom Oxfordenglisch oft unterscheidet. Ich habe mich entschieden vorerst nicht umzuziehen, möchte nicht isoliert sein, kann aber jeden Tag anders entscheiden. Eine Leiterin fragte mich beim Putzen wie es mir ginge und sagte dann: als sie las, dass ich so lang im Kinderheim war, wusste sie, dass ich mich hier zuhause fühlen würde. Eine echte Indianerin macht für mich z.B morgens Kaffee mit usw. So habe ich sicher erst mal mehr Chancen, in die Sprache reinzuwachsen, nicht zuletzt bei den täglichen Andachten. Ganz liebe Grüße an Euch alle zuhause und danke, dass Ihr an mich denkt und Euch mitfreut.

FREITAG: Bin ich froh, dass ich gerade kein Tourist bin, es regnet nur noch, wohl ganz typisch für hier. Ich lerne immer mehr kennen. Meine Anleiterin nahm mich gestern mal kurz mit nach USA zum Tanken. Die machen es so wie die Lindauer in Österreich. Zwei so Riesenländer vor der Haustüre, kaum zu fassen. Ähnlich wie die riesigen Hühnereier hier, z. T. mit 3 Dottern. Auch meine Verantwortung wächst, heute war ich schon mit 4 Frauen allein beim Morgenspaziergang, dabei wird immer fleißig gesprochen. Eine Frau verkriecht sich immer depressiv in ihrem Zimmer, ich konnte sie für ein Puzzle begeistern (1000 Teile mit Wölfen). Jetzt kann ich auch mal tun, was die Praktikanten im Heim immer durften. Heute Mittag machen wir einen Ausflug. Nun kümmere ich mich ein bisschen um das Unkraut im nassen Garten.
...Wer hat schon mal die Gelegenheit mit einer echten, älteren Indianerin Unkraut zu rupfen. Beim Vorstellen zeigte sie auf ihren Bauch und sagte:"Pat wie fat." Sie sprach mit jedem Vogel, Wurm, Käfer und dankte als die Sonne endlich kam. (Charis, Du wolltest mir die Indianer in Montana zeigen, nun habe ich sie selbst gefunden.) Dann machte sie für uns beide wieder Kaffe und wollte meine Freude hören. Sie zeigt mir vieles, was mir nicht auffallen würde.

Obwohl ich natürlich hier meine Grenzen merke, höre ich immer wieder den Satz:"Schön, dass Du da bist." Ich glaube, am Wochenende bekomme ich Besuch - neugierig?

SAMSTAG: Ein toller Sonnentag, 8 Stunden Gartenarbeit viele Begegnungen, neue Anfrage für Deutschstunden und viel Löwenzahn, der mich an geliebte Orte zuhause erinnerte. Die Frauen haben ihre Therapien, und ich therapiere mich selbst. So fern jeder Gewohnheit läuft das Kopfkino: 60 Jahre Leben, Sinn- und Glaubensfragen, Neuorientierung..
Durch das Führungszeugnis weiß man nun auch um meinen Geburtstag, und ich fühle mich doch total anders. Mir fiel wieder ein, dass ich mich mit 20 zum Sprachkurs nach USA als Angebot des Abendgymnasiums heimlich angemeldet hatte. Meine Mutter stornierte aus Angst alles. Nun darf ich es viel länger und intensiver erleben. Obwohl laufend neue Menschen kommen, bleibt es sehr familiär. Wenn mir mal aus Freude oder aus Ärger über ein fehlendes Wort eine Träne ins Auge rutscht, denkt jemand, ich hätte Heimweh und umarmt mich. An 4 Stellen wird jetzt mein blog gelesen, ein klick in google, und er steht in englisch da. Langsam plane ich an einer kürzeren Tour nach Calgary, bin ja auch noch Tourist. Gehe erst mal schlafen - Mitternacht!

SONNTAG: Es war ein schöner Gemeinschaftstag, mit ein bisschen Muskelkater von gestern. Ich lernte wieder 2 canadische Kirchen kennen, sehr lebendig, mit Tanzen, Fahnen schwingen, Klatschen und persönlicher Offenheit. Unsere neue tiefschwarze Frau bringt auch hier eine Stimmung rein wie im Film "Sister act."
Bild verweigerte sie heute erst mal

Gerade habe ich erstmalig spontan mit meiner nächsten Kollegin in deutsch gesprochen, bis sie mich in englisch darauf aufmerksam machte. Kann man sich nach 5 Tagen so zuhause fühlen? Ab morgen habe ich die größte Herausforderung: Ich werde noch mehr in die Küche eingeführt und habe dann viel Verantwortung für die ca. 16 Mahlzeiten. Lebensmittel, Zutaten, Rezepte, Gewohnheiten, alles in englisch. Aber ich vertraue wie bisher auch. Vielleicht gibt es jetzt aber eine kleine Schreibpause - bitte Geduld.



Montag, 27. Mai 2013
Wieder ein neuer Schritt
Eine neue Aufgabe - eine neue Herausforderung !

Ja, es war eine gute Reise hierher. Je eine halbe Stunde Zug, Bus, Auto. Vorher musste ich noch schnell eine Zahnpasta kaufen, da meine in der Dusche weg kam. Ich erwischte prompt zuerst Haftcreme für die Dritten. Man muss eben gut lesen, vor allem bei den sehr unterschiedlichen Zügen an den 3 Bahnhöfen. Es regnete den ganzen Tag, meine Tschibojacke hat den Test bestanden. Bestimmt 5 Männer trugen mir unterwegs den Koffer oder gaben Tipps, sogar der Busfahrer wollte ihn an der Endststation raustragen, nachdem er vorher die Leitung hier anrief, damit ich früher abgeholt würde. Ich wurde von Chef und seiner Frau abgeholt, ein Mann Anfang 60, total väterlich, er muss morgen erst mal zu einer OP. Hier sind 2 Leiterinnen für mich maßgebend, die eine teilt sogar ihr privates Bad mit mir und gab mir von ihrer Bettwäsche, weil sie die andere nicht schön genug fand. Ich bin mit einer Rumänin im Zimmer. Das große Anwesen liegt total abgelegen in schöner Natur und beinhaltet einen kleinen Bauernhof und Gewächshäuser. Die 10 Bewohner erwarteten mich fröhlich, ich war bestens angekündigt. Mir wurde sehr viel vom Ablauf usw. erzählt, geduldig, mit viel Zeit und Rücksicht. Es ist richtig herzlich und familiär, so wie ich es vom Kinderheim gewohnt bin. Aber - in Englisch, d.h. nicht nur Namen lernen, sondern Vokabeln, Sätze formulieren, verstehen. Die Bewohner dürfen nur kontrolliert ins Internet, auch ich habe das tablet im Büro und muss auf Zeiten achten. Also, es geht mir nach wie vor gut, auch wenn ich mich erstmal vielleicht seltener melde.

Das neu eröffnete Haus wartet noch auf den Einzug

22.30 Heute habe ich noch alle Möglichkeiten, meine Mitbewohnerin kommt erst morgen Abend. Ich komme gerade vom Gruppenabend, es wurde viel gesprochen, gelacht, gesungen. Ich glaube, die Leitung will, dass ich mehr mit allen zuammenlebe, mit für eine gute Athmosphäre sorge und weniger praktisch tue. Eine Frau, die durch 2 Unfälle eingeschränkt ist, hat deutsche Eltern, spricht etwas deutsch und will von mir lernen. Dafür korrigiert sie mich hilfreich, wir lachen viel dabei und andere mit. Ich glaube, die Zeit wird auch sehr gut und fühle mich ernst genommen. Mir fällt immer wieder auf, dass es hier kaum die Kennenlernphase gibt, man lebt einfach zusammen und ergänzt sich.

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Der sehr bewölkte Tag war wieder gut. Zweimal den gleichen Gottesdienst zu hören war nicht nur wegen der Fremdsprache sinnvoll. Meine beiden Bekannten und ich hatten wieder ein nettes Treffen. Die Ältere aß mit mir noch am bisher besten Salatbuffet. Anhand meiner Bilder erklärte sie mir viele Hintergründe. Wenn ich an Wochenenden frei habe, werde ich es öfter wiederholen, es gibt noch viele Ausflugsziele für mich.... Im Haus hier kann ich jederzeit übernachten. Ich muß einen guten Eindruck gemacht haben. Es ist komisch, dass sonntags die meisten Läden und z. B. Friseure geöffnet haben und auf manchen Baustellen gearbeitet wird. Endlich habe ich nach Tagen erstmals bequeme Schuhe gefunden, nachdem die ersten durchgelaufen sind. Made in Germany - deutsche Schuhe sind hier besonders beliebt und teuer (unsere Birkenstock kosten ca. 120 €). Ich mag vieles an dieser Stadt, die Unkompliziertheit, die Abwechslung, die Natur, wenn man auf den sehr langen, geraden Straßen in die Querstraßen blickt und rechts einen Schneegipfel und links das Wasser sieht. Morgen muss ich mich genauer über die etwas umständliche Fahrt aufs Land informieren. Der Leiter der Einrichtung holt mich am Bahnhof ab und hat schon 2 mal gefragt, wann ich am Dienstag ankomme. Er bemüht sich nett um mich. Wahrscheinlich entsteht dann eine kleine Schreibpause, bis ich mich dort zurecht finde, meine Aufgaben kenne und weiß wo ich ins Internet komme.

MONTAG: Ein Regentag, gut für den Schreibtisch und Packen. Ich bekomme so viele liebe Mails von Euch, dass ich oft nicht alle beantworten kann. Jetzt erst entdeckte ich gleich nebenan einen echten Italiener mit Holzofenpizze. Endlich mal wieder Knoblauch. Die Skyliner haben mich eben zu sehr abgelenkt. Dann verabschiedete ich mich vorerst von einer besonderen Chinesin, die immer kassierte, wenn ich beim Frühstück war. Wir lachten oft, sie gleicht eher einer burschikosen Europäerin.