Mittwoch, 11. September 2013
Tausend Eindrücke - Überwältigende Erfahrungen - Abschiedsphase
Meine 6 Monate lassen sich in diese 3 Blöcke einteilen und unaufhaltsam hat nun der letzte begonnen. Nun mache ich vieles hier im Haus zum letzten Mal und mein Rückflug wird oft in Frage gestellt. Natürlich tun mir die guten Rückmeldungen und meine jetzige Sicherheit gut, aber ich habe auch sehr viel gewonnen und zu danken. Vieles wird immer wieder gewünscht, z. B. bekam ich wieder Material für mindestens 200 Muffins. Das neue Haus hat einen riesigen Gefrierraum, und keiner hat Zeit für solche Serienarbeiten. Ich rücke gerade nochmals dem Unkraut zu Leibe, was die fleißigen Eichhörnchen ärgert, weil ich leider ihre vergrabenen Haselnüsse auch erwische. Die Frauen wollen endlos mit mir spazieren gehen, weil sie befürchten, nach mir nicht mehr so oft aus dem Gelände gehen zu können. Dann kommt täglich sehr viel Spontanes dazwischen, sehr abwechslungsreich. Die lieben Gesten, Geschenke und Dankeskarten häufen sich, sie sind sehr wertvoll, machen jedoch auch das Loslassen schwerer. Ich muss jetzt gut einteilen, um zufrieden abzuhaken. Morgen kommt das nette deutsche Paar, das ich vor Wochen besuchte. Ich freue mich und hätte nie gedacht, dass ich hier mal so viele Menschen persönlich kennen werde.

Nun bekommt Ihr mal ein Bild vom verwitweten Exmediziner, jetzt Hobbigärtner, zu sehen. Die Frauen hier wollen immer, dass ich ihn heirate, um problemlos einwandern zu können. Wir lachen darüber und schätzen unsere Verbindlichkeit, jeder macht anhaltend, was vereinbart wurde und hüpft nicht so spontan wie viele Canadier von einem Plan zum anderen.



Er erklärte mir die Verwüstung der vergangenen Nacht. Waschbären haben von unserem Mais die süßen Spitzen gefressen, alles umgeknickt und Löcher gebuddelt. Jetzt werde ich den Rest schnell zum Dinner kochen und einfrieren. Es ist wieder sehr heiß geworden, im Osten Canadas hat es 37 Grad. Ja, es ist hier ein richtiger Indianersommer für mich, die Hälfte der Zeit barfuß, beim Arbeiten im Freien. (Soll ja sehr gesund sein, so fühle ich mich auch). Morgen ist mein letzter Muffintag, schade.
14.Sept.
Ich erreichte meine Stammjugendherberge gerade um 20.30 Uhr und teile ein Viererzimmer mit einer sehr netten Französin. Die Saison ist vorbei. Es ist ganz anders nachts anzukommen, wie gut dass ich diese Stadt so gut an den langen Tagen kennengelernt habe. Jetzt bin ich wieder anonym unterwegs nach einem intensiven, persönlichen Miteinander. Ich genieße beide Lebensformen. Meine Leute haben wieder sehr viel Zuwendung ausgedrückt bevor ich abreiste: Komplimente, Dank, Tränen, Geschenke, Wünsche und Segensgebete. Als sie einen Graben am Gewächshaus aushoben, musste ich in einen Klumpen Lehm meinen Handabdruck pressen - mit Namen, der wird nach dem Trocknen an die Wand gehängt, weil ich so viel Gutes getan hätte. Das Eigentliche kann man gar nicht formulieren. Der letzte Monat war noch intensiver als die Zeit vor Alaska. Ich glaube, ich bin sehr reich. Liebe kann man nicht kaufen, und ich bekomme sehr viel davon geschenkt - in der Heimat und hier. Was würdest Du machen, wenn eine dir gut bekannte, voluminöse Frau aus Jamaika mit ihrem ebenso ausdrucksstarken Gebiss Haselnüsse knackt und Dir im Auto welche anbietet? Was würdest Du antworten, wenn man Dir sagt, dass man in Deinen Augen die Liebe Gottes sehen kann? :-) In den letzten Nächten hatte ich mein Zimmer mit Bad allein und ein tolles Appartement im neuen Haus, weil der Direktor wollte, dass ich nicht nur darin arbeite, sondern den Standard auch genieße. Morgen werde ich wieder meine beiden Kirchenfrauen treffen, wie immer sonntags in Vancouver. Abends kommen dann Mitarbeiter aus meiner Einrichtung, die monatlich im Obdachlosenheim im sozialen Brennpunkt einen Abend gestalten. Da es auch ein Essen gibt, kommen an die 100 Obdachlose und Abhängige. Da helfe ich natürlich mit, es findet ja fast vor meiner Haustür statt.

Ja, die Zeit in diesem Milieu ist ein weiteres Puzzlestück der realen Welt. Was man sieht und riecht ist unwesentlich, man muss die Menschen spüren. Manche Gesichter kannte ich schon von meinen Straßenwanderungen. Diese Stadt ist für mich schon heimatlich. Schmunzelnd denke ich zurück wie ich in den ersten Tagen nach Tempos suchte. Ich übersah all die kleinen Kartons (die wir ja auch kennen), bis ich ein mir vertrautes Päckchen mit 10 Taschentüchern fand, das wurden auch meine teuersten.